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Belarus schaltet das Internet ab: Wär' das auch bei uns möglich?

  • Veröffentlicht: 12.08.2020
  • 17:45 Uhr
  • Galileo
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© picture alliance/Valery Sharifulin/TASS/dpa

Auf einmal ist das Internet weg! Meist steckt ein kurzes, technisches Problem dahinter. Doch was, wenn der Staat das Netz abschaltet - wie zuletzt in Belarus? Wie ein Internet-Shutdown funktioniert - und ob er auch bei uns möglich wäre.

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Das Wichtigste zum Thema Internet-Shutdowns

  • Die Zahl der weltweiten Internet-Shutdowns steigt. Während im Jahr 2016 75 Shutdowns beobachtet wurden, waren es ein Jahr später schon 106 und 2018 sogar 196.

  • Allein 2019 hat die Menschenrechts-Organisation Access Now Internet-Shutdowns in 35 Ländern beobachtet.

  • Letzter Vorfall: Bei den Präsidentschaftswahlen in Belarus (Weißrussland). Berichten zufolge war der Internet-Zugang am Wahlsonntag (9. August) erheblich eingeschränkt. Zahlreiche Websites und Soziale Netzwerke waren nicht erreichbar.

  • Der Begriff "Internet-Shutdown" beschreibt eine "vorsätzliche Störung des Internets" seitens der Regierung. Für die Bevölkerung ist das Internet dann auf einmal nicht erreichbar oder effektiv nutzbar.

  • Wie und weshalb macht ein Staat das - und wäre ein Internet-Shutdown auch in Deutschland möglich? Das erfährst du auf dieser Seite.

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Internet-Einschränkungen am Wahltag in Belarus

Auf einmal sind Youtube, Instagram und Co. nicht erreichbar. Kannst du dir das vorstellen?

Bei der Präsidentschaftswahl in Belarus beklagten Bürger und Medien massive Internet-Probleme. Gegen 3 Uhr morgens (Ortszeit) am Wahlsonntag  gab es erste Verbindungs-Störungen - zu dem Zeitpunkt hauptsächlich in der Hauptstadt Minsk. Etwas später, mit der Öffnung der Wahllokale, seien immer mehr Seiten nicht mehr erreichbar gewesen. Als die Wahllokale um 20 Uhr schlossen, habe sich die Störung auf ganz Belarus ausgeweitet.

Etliche soziale Netzwerke wie Telegram, Viber oder Twitter und Websites waren nicht erreichbar, wie die Organisation NetBlocks beobachtete. Die Einschränkungen fielen zunächst unterschiedlich aus: Facebook war am Morgen nicht ganz so stark betroffen; auch YouTube und Soundcloud waren noch weitgehend zugänglich.

Das Diagramm zeigt, wie unterschiedlich verschiedene Dienste wann von den Einschränkungen in Belarus betroffen waren. Für die Ortszeit in Belarus müssen drei Stunden addiert werden.
Das Diagramm zeigt, wie unterschiedlich verschiedene Dienste wann von den Einschränkungen in Belarus betroffen waren. Für die Ortszeit in Belarus müssen drei Stunden addiert werden.© NetBlocks.org

NetBlocks setzt sich für digitale Rechte und Cyber-Sicherheit ein. Im Rahmen ihres "Internet Shutdown Observatory" dokumentiert die Aktivisten-Gruppe Internet-Ausfälle und Sperren in Zusammenhang mit Wahlen und anderen Großveranstaltungen.

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Der Präsident streitet den Eingriff ab

Lukaschenko sagte dazu in einem Interview: Schuld an den Internet-Ausfällen sei nicht die belarussiche Regierung, sondern ausländische Hacker. Dem belarussischen Computer Emergency Response Team (CERT) zufolge seien "Denial-of-Service-Angriffe" gegen das Staatssicherheits-Komitee und das Innenministerium von Belraus Ursache für die Internet-Probleme.

Der von der belarussischen Regierung betriebene Internet-Anbieter ISP RUE Beltelecom erklärte: Man arbeite daran, die Ausfälle zu beheben und den Dienst nach "mehreren Cyber-Angriffen unterschiedlicher Intensität" wiederherzustellen.

Externe Beobachter sehen allerdings keinerlei Hinweise auf einen Cyber-Angriff. Zudem kamen erste Störungen genau dann auf, als die Wahlen begannen. Pünktlich zur Schließung der Wahllokale dann der große Ausfall.

Auch soll die Regierung einige Unternehmen und Institutionen im Voraus gewarnt haben. Die russische Zeitung Moskovsky Komsomolets zitierte bereits am Samstag einen Verkäufer: Als Journalisten SIM-Karten bei ihm kaufen wollten, erklärte er, dass man in der Nacht mit weit verbreiteten Verbindungsausfällen rechnen müsse.

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Wieso schaltet der Staat das Internet ab?

Internet-Shutdowns durch autoritäre Regierungen gibt's vor allem in Zeiten von Protesten und Unruhen immer wieder. Häufig rechtfertigt der Staat die Maßnahme damit, ...

  • die nationale Sicherheit zu garantieren
  • Hate Speech und Fake News zu unterbinden

Klar, Hate Speech und Fake News sind ein Problem. Oft aber schieben autoritär regierte Länder diese Argumente nur vor. Vielmehr passt ihnen die freie Verbreitung von Informationen über das Netz nicht.

Adrian Shahbaz, der für die Organisation Freedom House in Washington zum Thema Technologie und Demokratie forscht, erklärt:

"Es wird verzweifelt versucht, den Informationsfluss innerhalb eines Landes komplett zu kontrollieren und zu gewährleisten, dass die Regierung ein Monopol auf Information hat."

Die Rolle des Internets am Beispiel des Arabischen Frühlings

Welche große Rolle das Internet bei Unruhen und Protesten gegen den Staat spielt, zeigte schon der sogenannte "Arabischen Frühling": Nachdem sich 2010 ein Tunesier selbst in Brand gesetzt hatte, weil er für sich keine Lebensperspektive mehr sah, brach eine Welle der Wut in arabischen und nordafrikanischen Staaten los.

Eine Schlüsselrolle bei den Protesten spielten Soziale Netzwerke wie Facebook, denn dort konnten Bürger ihren Unmut teilen, sich zu Protesten verabreden und Bilder verbreiten. Letztendlich führte das Zusammenspiel von TV, Internet und Mobiltelefonen unter anderem zum Sturz der Regierung in Ägypten und Tunesien.

Facebook war anfänglich das wichtigste Medium zur Mobilisierung der Bevölkerung in der arabischen Welt.
Facebook war anfänglich das wichtigste Medium zur Mobilisierung der Bevölkerung in der arabischen Welt.© picture alliance/dpa

Damit sie nicht ein ähnliches Schicksal erleiden, sorgen andere Regierungen heute vor und schalten das Internet ab. Ganz oder teilweise.

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Internet-Shutdowns weltweit

🇮🇷 Mit einer 4-tägigen Internet-Sperre wollte die Regierung letztes Jahr im Iran verhindern, dass Proteste gegen eine Benzinpreis-Erhöhung eskalieren - und wohl auch, dass die Außenwelt allzu viel davon mitbekommt. So waren die 80 Millionen Einwohner fast vollständig isoliert.

🇮🇳 In Indien, der bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt, wurde 2019 über 100 Mal das Internet abgeschaltet. In Kaschmir, wo es immer wieder zu Krisen und Unruhen kommt, konnten die Menschen fast ein halbes Jahr lang nicht online gehen.

🇻🇪 In Venezuela wurde das Internet im letzten Jahr verlangsamt, Social-Media-Seiten wurden komplett gesperrt und die Google-Suche blockiert - und zwar immer dann, wenn der damalige Oppositionsführer Juan Guaidó gerade eine Rede hielt.

🇮🇶 Im Irak wurde das Netz während der Abschlussprüfungen 2016 blockiert. Nach Angaben der Regierung sollten Schüler so gehindert werden, sich vor den Prüfungen online die korrekten Ergebnisse zu beschaffen.

Wie schaltet ein Staat das gesamte Internet ab?

Je umfangreicher und vielfältiger die Infrastruktur eines Landes ist, also je mehr Netzwerke und Verbindungen ein Land hat, desto komplexer wird der Internet-Shutdown-Prozess.

Ein Beispiel: Der Iran ist nur über 2 Gateways mit dem globalen Internet verbunden - beide "Schlüsselstellen", welche den Datenaustausch mit dem Internet ermöglichen, sind unter staatlicher Kontrolle. Das heißt, die Regierung kann den gesamten Datenverkehr kontrollieren und gegebenenfalls auch lahm legen.

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Wie sperrt der Staat einzelne Websites? Die Möglichkeiten:

👩‍💻 IP-Adresse oder URL sperren, um die Suchergebnisse zu filtern. Stehen bestimmte Webseiten auf einer Sperrliste eines Staates, können sie in einer Such-Maschine erst gar nicht angezeigt werden.

👨‍💻 DPI (Deep Packet Inspection)-Blocking ermöglicht es, ganze Datenpakete zu überwachen und zu blockieren, zum Beispiel wenn sie bestimmte Keywords oder Dateien enthalten. Hierbei werden nicht nur der Header-Teil, sondern auch der Daten-Teil überprüft.

👩‍💻 DNS (Domain Name System)-Blocking ist eine häufig genutzte Strategie, um bestimmte Domains in einem Browser nicht erreichbar zu machen. Üblicherweise übersetzt der DNS-Server einen bestimmten Domain-Namen, wie zum Beispiel galileo.tv, in die passende IP-Adresse. Beim Blocking jedoch lässt er die Anfrage unbeantwortet, und die gewünschte Seite kann nicht angezeigt werden. Die Meldung im Browser lautet dann: Server nicht gefunden.

👨‍💻 Es gibt aber auch technische Möglichkeiten, staatliche Sperrungen zu umgehen. Die am weitesten verbreitete ist das virtuelle, private Kommunikationsnetz (VPN). Das nutzt zwar weiterhin die Leitungen der Anbieter, baut darüber aber eine private Leitung auf, über die die Daten verschlüsselt verschickt werden. So können staatliche Zensoren nicht sehen, was versendet wird.

👩‍💻 Eine andere Möglichkeit: Im Betriebssystem des Laptops oder Smartphones einen alternativen DNS-Server angeben.

Ist ein Internet-Shutdown auch in Deutschland möglich?

🔀 Deutschland verfügt über viele Gateways ins weltweite Netz. Auch gibt es eine Menge private Internet-Anbieter, die nicht vom Staat kontrolliert werden. Somit ist ein totaler Internet-Shutdown eher nicht vorstellbar.

☝ Allerdings gibt es auch hierzulande die Möglichkeit, einzelne Websites zu sperren - zumindest aus technischer Sicht.

👨‍⚖️ Aus rechtlicher Sicht müsste dafür der Notstand ausgerufen werden. Das geht nur im Verteidigungs- oder Spannungsfall, zum Beispiel bei Naturkatastrophen oder inneren Unruhen. Internet-Anbieter wie Vodafone oder Telekom müssten entsprechende Seiten dann sofort sperren.

Willst Du noch mehr über Internet-Shutdowns erfahren?

NetBlocks.org - Internet disruption hits Belarus on election day

Netzpolitik.org - Landesweite Interneteinschränkungen am Wahltag in Belarus

AccesNow.org - KeepItOn Report 2018

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